Ich erinnere mich an La Gomera.
Erinnerungen an charakteristische Momente und Orte die mich beeindruckt haben. Ohne Umschweife und Faktenvermittlung, denn dafür gibt es ja Reiseführer :-)
La Gomera, Lava im Atlantik
Im dichten Nebel ertönt das Brummen eines kleinen Lastwagens. Langsam fährt er an mir vorbei, ich sehe dass die Ladepritsche mit exotischem Grünschnitt vollgepackt ist. Dann verschwindet er in der weißen Wand, die Fahrgeräusche werden vom Nebel verschluckt. Jetzt herrscht Stille auf der GM-2, einer der wichtigsten Verbindungsstraßen La Gomeras.
Der Neben ist heute ungewöhnlich weit in den Inselsüden gezogen und die Scheinwerfer unseres klapprigen Seat-Ibiza malen runde Kreise in die feuchten Schleier.
Von der Hauptstadt San Sebastián de La Gomera bis zu unserem Ferienhaus sind es 12 km Luftlinie, man fährt aber 36 km und wir brauchen dafür eine knappe Stunde. Das macht aber nichts, denn hinter jeder Kurve lauert Abenteuer im Nebel.
Und dann ist es plötzlich soweit: wir kommen über eine kleine Kuppe, die letzten Nebelfetzen wehen an uns vorbei und vor uns liegt der endlose Blick über den Atlantik. Keine Spur von Nebel oder Wolken, nur noch blauer Himmel, eine Landschaft wie ich sie noch nie gesehen habe, schroff und lieblich zugleich, und eine Sonne die mir sofort die Schweißperlen auf die Stirn treibt.
Ich halte an, steige aus und werde von einer kräftigen Meeresbrise gekühlt.
Immer wieder halte ich an, bestaune wilde Felsformationen, lege meinen Blick auf weite und wüstenhafte Hänge und vielfältige Sukkulenten.
Das Ferienhaus ist ein altes Kulturzentrum. Ich erfahre, dass es früher das Lager einer Tomatenplantage war, das erklärt auch die endlosen, verwilderten Terrassen die sich bis an die Steilküste ziehen.
Ich setze mich auf die Holzterrasse und genieße wieder die Stille, den Wind, den Geruch von Meer. Mein Blick verliert sich in der diffusen Linie zwischen Meer und Himmel und ich fange an zu träumen. Das zarte Miauen einer Katze holt mich zurück in den Moment. Sie hat ein rotes Fell, ist sehr vorsichtig aber doch zutraulich. Ein junges graues Kätzchen wartet einige Meter entfernt im Schatten eines mächtigen Ficus. Sie scheinen wild zu sein denn der nächste Ort ist drei Kilometer entfernt. Es werden meine Freunde.
Kräftiger Wind zerrt an der noch nassen Regenjacke um meiner Hüfte. Vor fünf Minuten habe ich sie noch angehabt, auf einem Pfad durch schier undurchdringliche Wälder aus Baumheide die von dichten Nebeln durchkämmt wurden. Jetzt stehe ich auf dem 1484 Meter hohen Garajonay, dem höchsten Berg der Insel. Der Blick ist endlos, in der Ferne sieht man Teneriffa und La Palma. Für El Hierro ist es etwas zu dunstig.
Ich setze mich in den Windschatten einer dicken Mauer aus Natursteinen und spüre die Bedeutung des Ortes. Er war den Ureinwohnern der Insel heilig. In ihrer Naturreligion wurden die Berge als Orte verehrt, an denen man den Göttern näher sein konnte. Alte Opferstätten zeugen von der Geschichte des Garajonay.
Von hier aus kann man gut die klimatischen Bedingungen der Insel nachvollziehen. Auf der einen Seite, dem Norden, hängt häufig der Passatnebel. Er zieht über die Hänge, tränkt die moosbewachsenen Stämme der Lorbeerwälder und sorgt für eine üppig grüne Inselseite.
Den Blick Richtung Süden richtend erblicke ich felsige Bergrücken mit trockenem und spärlichem Bewuchs. Kakteen, Balsam-Wolfsmilch und Kameldorn zwischen denen unzählige Eidechsen leben. Eine Landschaft für Wüstenliebhaber. Die Übergänge zwischen den Vegetationszonen sind mal fließend, mal abrupt.
Eine dieser Schluchten liegt direkt neben unserer Unterkunft. Barranco de Ereses. Ein ehemaliger Fahrweg, die Calle de la Roseta führt hinein, vorbei an einer alten Mülldeponie. Ein zerstreuter Haufen aus alten Flaschen und Schrott. Kühlschränke, Autos, Liegestühle. Wilde Ziegen durchstreifen die Trümmer. Der Fahrweg ist ausgewaschen und von Felsbrocken bedeckt. Die Ruinen zerfallener Häuser tauchen aus der kargen Terrassenlandschaft auf, vor Jahrzehnten verlassen und nur noch von wilden Katzen, Heuschrecken und Eidechsen bewohnt. Romantisch.
Je weiter ich in die Schlucht laufe, desto unwegsamer wird sie. Der Fahrweg ist dem Fels abgerungen, die vulkanischen Steilwände leuchten in allen Farben. Hin und wieder hört man das entfernte Rufen einer Schafherde.
Im Herzen der Schlucht finde ich schließlich was hier auf der Südseite der Insel so kostbar ist: Wasser. Eine kleine tröpfelnde Quelle. Das Wasserbecken ist nur einen Meter breit und der dünne Abfluss verliert sich schnell zwischen den gierigen Steinen. Trotzdem: Überall Tierpfade. Und alte Behausungen. Sie sind in den Fels gehauen und mit Natursteinen zugemauert. Wer hier mal gewohnt hat war ausgesprochen genügsam. Ansonsten weisen nur uralte Terrassen im Hang auf eine ehemalige Nutzung der Gegend hin.
Die Sonne verschwindet hinter einem Bergrücken und wirft lange schroffe Schatten auf die ohnehin schon unwirtliche Szenerie. Wind kommt auf und ich mache mich auf den langen Rückweg.
Ich kann keine 20 Meter weit schauen. Der Nebel verschluckt wieder alles. Die Stämme verlieren sich in dem wabernden weiß und ihr dickes Mooskleid verleiht ihnen das Aussehen skurriler Wesen.
Im weichen Waldboden gedeiht ein Farnteppich. Der Wanderpfad windet sich durch den Lorbeerwald hinab in eine schmale Schlucht, ein Bach fleißt nicht. Vermutlich wird alles Wasser von der
durstigen Vegetation aufgesaugt. Am Ende der Schlucht öffnet sich ein sanftes Tal vor mir und lockerer Baumheidebewuchs duftet intensiv in der Sonne. Der Nebel bleibt im Wald
hängen.
Verkohlte Stämme zeugen von einem Waldbrand und ihr Schwarz steht in scharfem Kontrast zu dem saftigen Grün des Buschwaldes. Die Hitze der Sonne treibt mich bald wieder zurück in den Wald, in den
Nebel und schließlich zur Gaststätte an der Waldlichtung Laguna Grande. Ich esse eine köstliche Brunnenkressesuppe und einen großen Teller zart gekochtes Ziegenfleisch.
Ich suche mir einen Stuhl und geselle mich zu den Besuchern des Cafes. Die riesigen indischen Lorbeerbäume spenden nicht nur Schatten und Schutz vor Regen, sie scheinen auch zu lauschen. Dem
Treiben auf dem Platz Plaza de la Constitution, den Gesprächen im Cafe.
Sie lauschen schon seit Hunderten von Jahren der Inselhauptstadt San Sebastian und sind immer noch so gleichgültig gegenüber den Emotionen der Menschen unter ihnen. So wichtig können diese nicht sein.
Praktisch jedes Dorf hat zumindest einige von diesen beeindruckenden Bäumen, mal klein, mal gigantisch. Und immer dienen sie als Treffpunkt für die Bewohner eines Ortes. Unter ihnen wurde schon seit je her über das Leben beratschlagt und so nennt man sie auch heute noch Kommunikationsbäume. Treffend.
Besonders gut haben mir die Bäume von Playa de Santiago und San Sebastian de La Gomera gefallen. Es sind stille und gutmütige Beobachter.
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