Es war der vierte Tag. Die größten Herausforderungen waren: Kälte und Nässe, der fehlende Schlafsack, die Einsamkeit, der Hunger und die Wunden an meinen Händen. Es war der erste Tag an dem sich auch Angst in meine Gefühlsachterbahn gemischt hatte.
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Romantisches Survival oder Leid?
Es war der vierte Tag und so langsam wurde mir die Unerbittlichkeit des Survival bewusst. Ich habe in meinem Tagebuch nichts über meine psychischen Zustand geschrieben, es ist aber rauszulesen, dass mir die Situation Respekt und vielleicht sogar Angst einjagte. Rückblickend waren es zu diesem Zeitpunkt folgende Punkte, die mir besondere Schwierigkeiten bereitet haben:
Kälte und Nässe
Mein Hauptgegner war die Kälte in Verbindung mit anhaltendem Regen. Ich konnte nur in Regenpausen aus der Hütte und dadurch wenig Nahrung suchen und nur nasses Feuerholz sammeln.
Nasse Kleidung wäre ein echtes Problem geworden, weshalb ich sehr darauf geachtet habe trocken zu bleiben.
Vor allem die Nächte wurden so kalt, dass ich nicht mehr schlafen konnte, sondern ein kleines Feuer unterhalten musste. Den Schlaf habe ich tagsüber nachgeholt, was wieder Zeitverlust bei Nahrungs- und Holzsuche bedeutet hat, wodurch ich wieder weniger Energie und Holz für die kalten Nächte hatte.
Eine klassische Problematik: Ein Fehler oder ungünstiger Umstand betrifft nicht nur ein Bedürfnis (Hier: kalter Regen bei zu wenig Kleidung), sondern breitet sich auf mehrere oder sogar alle Bedürfnisse eines Überlebenskünstlers aus (Hier: gesunder Schlaf, Feuer, Nahrung).
Kleidung / Schlafsack
Ich hatte keine echte Outdoor-Kleidung gewählt und mich gegen die Verwendung eines Schlafsacks entschieden. Selbst gewähltes Leid also.
Der Regenponcho war viel wert und hielt auch dicht, allerdings wurden doch immer wieder die Ärmel meines Fliespullovers und meine Baumwollhose nass.
Mein Schlafmaterial war trocken und hat gut isoliert, den kalten Temperaturen aber nur bedingt gewachsen. Heute weiß ich, dass ich der Bodenisolation zu wenig Beachtung geschenkt habe.
Einsamkeit / Fehlende Kommunikation
Die Auswirkungen der Einsamkeit hatte ich definitiv unterschätzt! Zwar bin ich gut alleine zurecht gekommen, doch hat mir gerade das Besprechen und das Teilen von Erlebnissen oder Problemen gefehlt und ich habe meine Familie und meine Freunde vermisst, ich habe mich nach Unterstützung, Bestätigung und Geborgenheit gesehnt. Hier hat mir das Tagebuchschreiben geholfen, denn ich konnte meine Gedankengänge formulieren und festhalten.
Hunger
Der Hunger war subtil und sehr intensiv. Allerdings war es kein Hunger mehr im Magen, sondern im Kopf und in den Muskeln. Ich musste ständig an Essen denken. Vor allem in den nachfolgenden Tagen wurde die Sehnsüchte nach Essen immer belastender.
Ich war erschreckt, dass ich den Mangel an Essen so schnell in meinen Kräften gespürt habe. Ich war viel schneller müde und ausgepowert als sonst und habe deutlich mehr geschlafen. Die Schwäche habe ich vor allem in den Beinen (beim Laufen) und den Armen (Holz machen) gemerkt. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es so schnell gehen würde. Ich muss aber auch sagen, dass ich mich körperlich nicht geschont habe. Vor allem das Herumwandern (Moore, Gestrüpp, Blockhalden), das Graben nach Wurzeln (steiniger Untergrund) und das Holz machen war kräftezehrend.
Wunden an den Händen
Ich hatte keine Arbeitshandschuhe dabei. Die Beanspruchung der Hände hatte ich unterschätzt und ich habe auch wenig unternommen sie zu schützen (z.B. Handschuhe improvisieren/vorsichtiger arbeiten). Die Folge waren viele kleine Kratzer, Schwielen und Spreißel die nicht ordentlich verheilt sind und sich entzündet haben.
Ausrüstung
Vermisst habe ich Arbeitshandschuhe, eine Säge, ein gutes Beil, einen Transportkorb oder Rucksack für Holz, Beeren und Wurzeln. Außerdem viel gute Schnur.
Außerdem natürlich wärmere Kleidung, Schlafsack/Isomatte, Thermoskanne. Den überlebenswichtigen Topf hatte ich ja zum Glück in der Kote gefunden.
Aus meinem Tagebuch:
Sonntag: 15.8.2004
"Die Nacht war mal wieder tierisch kalt, obwohl es viel geregnet hat. Die Sonne steht in Süd-Süd-Ost, also später Vormittag. Das Wetter ist heute sehr unbeständig und windig. Ich war Feuerholz und Birkenrinde holen. Gerade habe ich
mir aus einem Stück Draht einen Angelhaken gebogen und geschliffen.
Das Isländischmoos, das ich gestern eingeweicht habe ist jetzt nicht mehr so bitter und ich habe es zum trocknen in die Sonne gelegt.
Nachts friere ich am meisten an den Füßen, egal wie dick ich sie einpacke. Die Wunden machen mir Sorgen, da ich sie nicht sauber halten kann. Am meisten wünsche ich mir warme Kleidung oder einen Schlafsack für die Nacht, Arbeitshandschuhe und Gesellschaft. Der Hunger im Magen hält sich absolut in Grenzen, kein reißendes oder nagendes Gefühl im Bauch. Aber wenn ich dann mal an Fleisch, Döner oder Kaffee mit viel Zucker denke, läuft mir schon das Wasser im Mund zusammen. Wenn mir mal jemand einen großen Gefallen tun will, dann soll er mich zum Kaffee oder Döner einladen. Ich merke richtig wie das Schweigen meiner Stimme zusetzt, deshalb lese ich mir manchmal laut aus diesem Tagebuch vor oder bete für mich ein Vaterunser oder ein tibetisches Mantra. Es ist Abend geworden. Inzwischen war ich unten im Tal an dem Flüsschen angeln, ohne Erfolg.
Zuvor hatte ich noch meinen rechten Socken gestopft, mit einer halben Nähnadel und den Fäden eines alten Lappens. Beim Fadenabreißen ist mir dann das Nadelöhr ausgebrochen. Im Tal habe ich den großen Topf voll Molte gesammelt. Einen Teil habe ich gegessen, der andere trocknet. Am Nachmittag habe ich dann wahre Holzmassen in die Kote geschleppt. Ich hab’ heute noch einige andere kleine verfallene Koten im Wald entdeckt. Von der einen habe ich etwas Holz fürs Feuer und eine Säge genommen. Ich hab’ vorhin beschlossen so gut wie alles zu verwenden was ich finde, da es ohnehin schon schwierig genug ist. Außerdem sind die Sachen so gut wie immer kaputt. So kalt wie heute Abend war es noch nie. Deshalb habe ich die Tür mit einer löcherigen Plastikplane abgedichtet und sitze jetzt im Rauch meines Feuers. Gute Nacht."
Feuerflamme,
die ich schaffe aus Glut
Feuerflamme,
du tust mir gut.
Während den vier vergangenen strapazenreichen Tagen hatte sich in mir eine Bereitschaft entwickelt, von meinen ursprünglichen Plänen abzuweichen. Anfangs wollte ich nur meine Kleidung, einen Feuerstahl und ein Messer verwenden, in einer selbstgebauten Hütte leben und mich vegetarisch ernähren. Der Notfallrucksack sollte nur im absoluten Notfall angerührt werden.
Mit jedem Hammerschlag der wilden Natur auf mich unerfahrenen Überlebenden wurden meine Prinzipien weicher und dem Anspruch der Lage angepasst. Ich verwendete einen gefundenen Topf, später etwas altes Werkzeug und zog in die verfallene Kote. Ich habe einen Frosch gefangen und gegessen. Und auch meinen Notfallrucksack sollte ich in den kommenden Tagen ausgraben.
Aber da war noch etwas entscheidendes: Mein Lager befand sich an einem kleinen sprudelnden Bach, zu dem zahlreiche schmale Tierpfade führten. Ich hatte in der Gegend immer wieder Hasen und Schneehühner gesehen. Am Abend des vierten Tages habe ich beschlossen an einem der Pfade eine Schlinge auszulegen. Das kannte ich nur aus dem Buch und hatte es noch nie vorher geübt.
Ich wählte einen gut begangenen Pfad in der Nähe meines Lagers. Dort hängte ich eine Schlinge aus einem Stück Reepschnur etwa eine Hand breit über den Boden auf und befestigte sie an einem Baum. Als akustisches Signal hängte ich zwei Stücke Blech an der Schnur auf.
Eigentlich war es einfach Spielerei gewesen, die Hoffnung auf einen Fang hatte ich damals kaum. Was passiert ist, erfahren wir im nächsten Teil der Artikelserie.
Die Fortsetzung der Artikelserie findest du hier:
Survival-Tagebuch 2004 - 8. Tierische Notnahrung bedeutet töten
Hier geht es zu der Übersicht zur Artikelserie Survival-Tagebuch 2004.
Ich freue mich wenn ihr diesen Artikel weiterempfehlt:
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Valerie (Mittwoch, 06 Januar 2016 17:20)
Hallo Aaron :-)
danke, dass du deine Erfahrung und deine Tagebucheinträge mit uns teilst!
Beim Lesen entstehen Bilder in meinem Kopf und am Ende angekommen, möchte ich gleich den nächsten Teil lesen. Bin schon gespannt wie es weiter geht und freue mich weiter zu lesen ...
Bis bald!!
Aaron von lightinthewild.de (Freitag, 08 Januar 2016 22:37)
Danke Valerie! Ich teile gerne mit meinen Lesern. Letztlich profitiere ich selbst am meisten vom Schreiben, denn es verwurzelt meine Liebe zur Natur und zum Abenteuer noch mehr in meinem Alltag und meinem sozialen Umfeld. Und ich befasse mich auch nachträglich mit meinen Erlebnissen in der Wildnis und nehme dabei eine neue Position, nämlich die eines Schreibers und Beobachters ein. Neuer Blickwinkel, neue Erkenntnisse :-)
Liebe Grüße.