Seit ich wieder etwas mehr zu essen hatte, kam das Magenknurren zurück. Der Magen dachte sich wohl: Juhu, das Leben geht weiter. Und war dann vom Ausmaß meiner Mahlzeiten enttäuscht. Gegen das Magenknurren half Tee oder einfach nur warmes Wasser sehr gut.

Aber ich habe auch deutlich gespürt, dass nach jeder Mahlzeit neue Kräfte in meinem Körper entstanden sind. Der direkte Energiezuwachs, kurz nach dem Essen, war wirklich beeindruckend. Gleichzeitig hat es mir aber auch vor Augen geführt, wie kraftlos mein Körper und wie eingeschränkt meine Denkleistung ohne Nahrung war. 

Detailliertes Wissen zum Thema Energiegewinnung in Notsituationen

und den Prozessen im Köper bei der Umstellung auf Hungerstoffwechsel

werde ich bald in einem gesonderten Artikel veröffentlichen.

Aus meinem Tagebuch:

Donnerstag: 19.8.2004 

"Es ist ein trüber und verregneter Tag der vielleicht zur Hälfte verstrichen ist. Das weiß ich allerdings nicht genau, weil man die Sonne nicht sieht. Ich lag heute morgen lang in meinem Schlafsack und saß ansonsten an meinem Feuer. An solchen Tagen kann ich auch fast nichts anderes machen. Feuerholz suchen ist sinnlos und Essen sammeln geht auch nicht, weil mir dabei die Finger abfrieren würden. Und ich würde zu nass werden. 

So langsam merke ich den Hunger deutlich. Mich wundert, warum er so lange hat auf sich warten lassen. Erst seit ich den Hasen habe macht er sich wieder bemerkbar. Ich kann richtig zusehen wie mein Körper immer mehr abbaut. Die Hände voller Wunden, sodass ich sie oft morgens kaum noch bewegen kann, ein Herpes auf der Oberlippe und dann noch eine Zahnfleischentzündung. Außerdem schlafen mir nachts immer wieder die Hände ein.
Außer dem ganzen Salz habe ich hier in der Kote eine kleine Tüte gefunden, deren Inhalt nach Zucker aussieht. Ich hab bisher noch nicht probiert was es ist, obwohl ich ja gesagt hatte alles zu nehmen was ich finde. Aber auch die Teller und Tassen verwende ich nicht, obwohl sie eine große Erleichterung wären. Ich habe mir gedacht, dass ich vielleicht den Zucker für den Rückweg aufheben werde.

Oh, Moment, ich höre Stimmen! Ich geh’ mal nachsehen.

Es waren zwei Frauen, ich nehme an Sami, mit Rucksäcken. Die eine war die Tochter derer, die die Kote erbaut haben. Sie haben sich kurz mit mir unterhalten (auf Englisch) und sind dann weitergegangen. Ich hab’ ihnen erzählt, ich wäre von Kvikkjokk aus gestartet und würde hier für ein paar Tage wohnen, um mir die Kabla anzusehen. Es war schon beinahe ein Schock, hier in dieser Einöde zwei Menschen ankommen zu sehen! Ich hab’ mir schnell die Mütze über die zerzausten Haare gezogen und musste feststellen, dass ich einen ziemlich heruntergekommenen Eindruck gemacht haben muss. Auch das Sprechen war am Anfang nicht ganz einfach, auch noch auf Englisch. Ich kann es immer noch kaum glauben, dass ich Besuch bekommen habe. Einerseits ist es erleichternd, andererseits aber auch schade. Es ist ein absolut komisches Gefühl. Ich kann es kaum beschreiben. 

Vor ein paar Tagen habe ich Molte- und Heidelbeeren getrocknet. Die Heidelbeeren sind gut geworden. Wie Bonbons. Aber die  Moltebeeren haben zu große Kerne."

Der Besuch der beiden Frauen hat mich damals aufgebaut. Es war das Gefühl, dass ich doch nicht so alleine und weit entfernt von der Zivilisation war. Im Nachhinein hätte ich mich gerne noch länger mit ihnen unterhalten und mehr von ihnen erfahren. Heute würde ich ihnen auch von meiner selbstkonstruierten Notsituation erzählen und ihnen Einblicke in meinen Tagesablauf geben. Meine damalige zurückhaltende Art und meine Überforderung durch den plötzlichen sozialen Kontakt sind dafür verantwortlich, dass die beiden heute nicht mehr als eine flüchtige Erinnerung sind. Ich bin ihnen für den Besuch dankbar!